City-Blues

City-Blues
City-Blues
 
[amerikanisch, 'sɪtɪbluːz], auch Big-City-Blues oder Urban Blues, städtische Tradition des Blues, die von den Lebensverhältnissen und sozialen Bedingungen in den Großstädten des industrialisierten Nordens der USA geprägt ist und um 1900 einsetzt. Diese Entwicklung vollzog sich vor dem Hintergrund einer massenhaften Abwanderung der schwarzen Bevölkerung aus den ländlichen Südstaaten, die damit nicht nur vor dem extrem militanten Rassismus in den Südstaaten flüchtete (1865 war in Tennessee die Terrororganisation Ku-Klux-Klan gegründet worden, die schon bald darauf überall im Süden ihr Unwesen trieb), sondern in den nordamerikanischen Industriezentren vor allem auch auf Arbeitsplätze hoffte. Hier aber ließen die Organisation der Arbeit in den Fabriken und die Lebensbedingungen der nun zu Angehörigen des Industrieproletariats gewordenen Afroamerikaner ein Weiterleben des selbsttätigen Musizierens kaum noch zu. Ihre volksmusikalischen Traditionen (Countryblues) gingen damit auf professionelle Musiker über, wurden zu einer Form der Bühnendarbietung und vor allem dann im Rahmen des Massenmediums Schallplatte produziert und verbreitet (Racerecords). Das hatte tief greifende Veränderungen zur Folge, denn nun begann die Verbreitung dieser Musik über den Markt, für den sie massenhaft und unter dem Gesichtspunkt des kommerziellen Erfolgs produziert wurde. Die ehemalige regionale Vielfalt der ländlichen Bluestradition reduzierte sich unter diesen Bedingungen allmählich auf ein standardisiertes Formmodell (Bluesformel), nach dessen Muster der Blues dann für den ständig steigenden quantitativen Bedarf der Schallplattenindustrie auch mehr und mehr von eigens darauf spezialisierten Autoren wie William Christopher Handy (1871-1958), Perry Bradford (1893-1970) oder Clarence Williams (1893-1965) regelrecht komponiert wurde. Die Aufführung vor Publikum in den Sälen der Vaudeville Theater erforderte einen Gesangsstil, der unter diesen akustischen Bedingungen damals noch ohne technische Hilfsmittel tragen konnte und an den die musikalische Struktur entsprechend angepasst worden ist. Als Begleitinstrumente setzte sich anstelle der Gitarre das Piano durch, und auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung in den Zwanzigerjahren standen ganze Begleitbands auf der Bühne. 1920 wurde der erste Blues auf Schallplatte veröffentlicht, eine Aufnahme des »Crazy Blues« von Perry Bradford mit Mamie Smith (1883-1946) und Johnny Dunn's Original Jazz Hounds. In den folgenden Jahren bis zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 erschienen dann über 3.200 Titel für die ausschließlich schwarzen Käufer dieser Musik. Danach wurde dieser Blues langsam zur Grundlage einer Unterhaltungsmusik, auf die auch der populäre Swing-Stil des Jazz einen immer größeren Einfluss bekam. In den Vierzigerjahren entstand daraus vor allem in den Städten des mittleren Westens der USA ein Bigband-Blues, der auf der Boogie-Tradition basierte (Jumpblues). Andererseits kamen mit dem ständigen Zustrom von Schwarzen aus den ländlichen Regionen auch immer wieder Volksmusiker in die Großstädte, die die traditionellen Blues-Spielweisen einbrachten. Insbesondere die elektrisch verstärkte Gitarre, die in den Dreißigerjahren aufkam, bewahrte die expressiven Ausdrucksformen des Countryblues auch in den Großstädten des Nordens. Da die Abwanderung in Richtung Norden jeweils den Hauptverkehrswegen folgte, setzten sich die unterschiedlichen regionalen Traditionen dabei fort. So sammelten sich die Bluesmen aus dem Mississippi-Delta und den angrenzenden Regionen (Mississippi-Blues) hauptsächlich in Chicago, das damit schon in den Dreißigerjahren zu einem Zentrum der Umschmelzung traditioneller Spielweisen in ein großstädtisches Blues-Idiom wurde (Chicago-Blues). Weiter westlich führten die Routen in die Städte an der amerikanischen Westküste, wo sich auf der Basis des Texas-Blues eine ähnliche Entwicklung vollzog (Westcoast-Blues). Aus dieser Berührung der ländlichen Bluestradition mit den inzwischen entwickelten städtischen Spielweisen, die durch das Anwachsen des Zustroms von Schwarzen mit der kriegsbedingten Steigerung der industriellen Produktion nach dem Eintritt der USA in den zweiten Weltkrieg einen Höhepunkt erreichte, entstand in der zweiten Hälfte der Vierzigerjahre dann der Rhythm and Blues.
 
Obwohl die Entwicklung des City-Blues eng mit den Verwertungsinteressen der Musikindustrie verbunden war, haben auch die großstädtischen Bluesformen die ursprüngliche Authentizität dieser Musik als Spiegel der oft genug leidvollen Erfahrungen der schwarzen Amerikaner behalten. Die strikte Rassentrennung, die bis in die Fünfzigerjahre hinein auch für die Musik galt, verhinderte schließlich, dass der Blues vollständig in den Sog des Musikgeschäfts geriet. Er behielt seine Funktion als Katalysator der kulturellen und sozialen Identität der afroamerikanischen Bevölkerung trotz seiner kommerziell orientierten Verbreitung durch die Massenmedien, denn diese blieb auf die schwarzen Gettos der nordamerikanischen Großstädte beschränkt. Deshalb konnten sich auch unter diesen Bedingungen wieder lokale Zentren der Entwicklung herausbilden (Chicago, Kansas City, Memphis, Atlanta, Birmingham, St. Louis, New Orleans), entfernte der kommerzielle Erfolg die Musiker nicht von ihrem sozialen Wirkungsfeld. Darin liegen letztlich die Wurzeln des musikalischen Reichtums dieser städtischen Bluestradition.
 
Siehe auch: Blues.

Universal-Lexikon. 2012.

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